Gleiches Recht für alle!
Nicht nur die Töne wollte John Cage befreien. Der Komponist war politischer, als viele seiner Hörer bis heute glauben. – Eine Betrachtung zu seinem 15. Todestag.
Von Jannika Bock
27. Juli 2007, 14:00 Uhr Quelle: ZEIT online 6 Kommentare
John Cage, Komponist, Pilzsammler und Philosoph, starb am 12. August vor 15 Jahren. An einem Schlaganfall, der so überraschend kam wie die Perkussion in seinen Kompositionen. Für die Musikwelt war sein Tod ein Paukenschlag, der alles Gewesene mit einem mächtigen Rumms in sich verschlang. Und da war sie wieder: die Stille. Zeitweise kehrten jene Konzepte zurück, die Cage ein Leben lang auflösen wollte: das Nichts, die Stille, die Frage nach dem Sinn.
„ Think of my art as nonsense “, hatte er geschrieben. Man solle seine Kunst als sinnlos verstehen. Sie habe kein Ziel, keine Botschaft und ihr läge nichts zugrunde außer dem Zufall.
Mehr noch als die starren Kompositionskonventionen seiner Zeit lehnte er Musik ab, die sich in einen Dienst stellte, zumal in den der Politik. Konsequent hielt er sich aus dem Tagesgeschehen heraus. Selten nahm er öffentlich Stellung, schon gar nicht schwarz auf weiß. Seit den sechziger Jahren ging er nicht mehr wählen. Er verließ New York City und zog in eine kleine Künstlerkommune auf dem Land. Er entzog sich der Gesellschaft und der Politik, und seinen Werken den Sinn und die Absicht. Aber enthalten seine Stücke, in ihrer Inhaltslosigkeit und Nicht-Intentionalität, keine klare gesellschaftspolitische Vision?
Seit seinem Tod hat die Cage-Forschung eine Renaissance erlebt. Literatur-, Musik- und Theaterwissenschaftler widmen sich seinen Werken mit wachsendem Interesse. Marjorie Perloff, die wohl prominenteste Cage-Forscherin, arbeitet derzeit an einem neuen Buch, ebenso der einflussreiche Musikologe David Wayne Patterson.
Stets im Mittelpunkt steht 4’33'' , jenes Stück, das der Pianist David Tudor vor 55 Jahren im ländlichen Woodstock uraufführte – nicht weit von jener Wiese der Rebellion, die 17 Jahre später weltberühmt werden sollte. Cage wandte sich mit seinen 4 Minuten und 33 Sekunden gegen die herrschende Musik. Kein einziger intendierter Ton ertönte in dem stillen Stück. Es gab bloß Nebengeräusche. Alles sollte gehört werden: das Husten des Nebenmanns, der Lärm von der Straße, das nervöse Hin- und Herrücken Gelangweilter auf den harten Konzertsaalstühlen. Cage wollte keinen Unterschied zwischen guten und schlechten Tönen mehr machen und auch nicht zwischen Klang und Stille. Eine musikalische Revolution, die natürlich nicht aus dem Nichts kam, aber dennoch das Publikum gehörig überraschte.
Cage, der Rebell, das enfant terrible der klassischen Musik, das sein Publikum immer wieder verschreckte, es in den Wahnsinn trieb, wie ein Kritiker der New York Times einst feststellte. Er sei ein grenzenloser Optimist gewesen, sagen Weggefährten, ein Träumer, der durchaus eine gesellschaftspolitische Vision hatte. Über einen Zeitraum von fast 20 Jahren schrieb Cage sein Kettengedicht Diary: How to Improve the World , also ein Tagebuch zur Rettung der Welt. Er fügte ihm listig den Untertitel zu: „Du wirst alles nur schlimmer machen“, aber geschrieben hat er es dennoch.
Ja, Cage wollte seinem Spaceship Earth helfen, sicher durch Zeit und Raum zu gleiten. In seinen Büchern finden sich etliche Hinweise, dass Cage viel politischer war, als viele seiner Hörer glaubten – und möglicherweise er selber auch.
In seinen gesammelten Reden und Aufsätzen hat er auf den Amerikaner Henry David Thoreau verwiesen, vor allem auf das Werk Über die Pflicht des Ungehorsams gegenüber dem Staat . In der legendären Streitschrift aus dem Jahre 1849 fordert Thoreau, man müsse sich gegen die Regierung auflehnen, wenn sie gegen die eigenen Prinzipien handele. Er forderte ein herrschaftsfreies Miteinander. Cage sah das genauso. Er wollte die Hierarchien überwinden. In der Anarchie sah er die Chance zur Gleichstellung aller Menschen, ohne Machtzentren und Regeln, die aus Subjekten Objekte machen: „ I’m an anarchist, same as you are when you’re telephoning, turning on/off the lights, drinking water .“ Der Einzelne als autonome Einheit, als selbstbestimmtes Subjekt in allen Lebenslagen, auch in der Musik.
Im Jahre 1974 schreibt Cage in seinem programmatischen Aufsatz The Future of Music : “Musicians can do without government.“ In Anlehnung an Thoreau stellt er fest, dass Musiker keine Regierung brauchen. Sie seien bereit, auf der Bühne Anarchie zu (er-)leben. Ein Jahr später komponiert Cage Renga with Apartment House 1776 , sein Auftragswerk zur 200-Jahr-Feier der Vereinigten Staaten von Amerika. Er will damit ein „musikalisches Beispiel für die Machbarkeit und Vorzüge von Anarchie“ liefern. Also doch: eine gesellschaftspolitische Vision! Eine Botschaft! Ein Ziel! Cage schafft ein „aesthetic analogue“, ein künstlerisches Analogon: ein musikalisches Beispiel, das auf die Welt außerhalb der Kunst übertragen werden soll.
In seiner musikalischen Vision sind alle Beteiligten gleichgestellt. Der Dirigent führt nicht mehr; die Musiker beschließen selbst, was sie wie spielen. Renga with Apartment House 1776 hat keinen konventionellen Notentext. Die Partitur besteht ausschließlich aus Zeichnungen aus den Tagebüchern Thoreaus. Die aufführenden Musiker entscheiden eigenständig, wie sie Bilder interpretieren wollen. Sie können sich aussuchen, welches Instrument sie spielen möchten. Sogar die Länge des Stücks liegt bei ihnen. Das Resultat: akustische Anarchie. Cage entmachtet den Dirigenten, den Notentext und auch sich, den Komponisten.
Bei den Aufführungen des Stücks gibt es kein visuelles Zentrum. Der Dirigent steht nicht in der Mitte, nicht erhöht. Um ihn ordnen sich nicht die Musiker in einem strengen Halbrund an. Nein. Jeder sitzt, wo er möchte. Die erste Geige hinter dem Paukenspieler, der Solist am Bühnenrand, der Dirigent irgendwo. Ein Blickfang, eine Mitte existiert nicht. Es entsteht eine kakophone Freiheit.
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